SRH Campus Dresden
Forschung

Plattformökonomie & Betriebliche Sozialarbeit – Herausforderungen und neue Aufgaben unter den Bedingungen der Digitalisierung

Im Rahmen der Fachtagung „Betriebliches Sozialmanagement – Betriebliche Soziale Arbeit“ an der Hochschule Koblenz hatte Prof. Dr. Ute Kahle am 7. September 2023 Gelegenheit, ein innovatives Thema mit Blick auf digitale Plattformen vorzustellen.

Die Sozialarbeit in Betrieben hat eine über einhundertjährige Tradition (Engler 1996, 121ff.). Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts wurde sie als Fabrikpflege in Industriebetrieben eingeführt, um betriebliche Arbeitsbedingungen mit den Lebenssituationen von Fabrikarbeiterinnen in Einklang zu bringen. 

Im Laufe des letzten Jahrhunderts wurde Sozialarbeit in Betrieben auch mit Werksfürsorge, Betriebsfürsorge, Betriebssozialarbeit oder betrieblicher Sozialberatung bezeichnet (Lau-Villinger 1994). Während bis in die 1960er Jahre die Hauptaufgaben in der Linderung materieller Not und in der Gesundheits- und Erziehungsfürsorge bestand (Baur 1980), veränderten sich die Aufgaben in Richtung therapeutischer Einzelfallhilfe und individueller Beratung und Betreuung. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA, 1997) sieht die Funktion der betrieblichen Sozialarbeit auch darin, „Regulativ zwischen betrieblichen und gesellschaftlichen Prozessen“ zu sein. Engler wiederum beschreibt die Aufgaben betrieblicher Sozialbetreuung mit der Betreuung, Beratung und Bildung aller Mitarbeiter:innen, von der Einstellung bis zur Pensionierung und darüber hinaus (Engler 1996, 123). 

Betriebliche Sozialberatung kann im individuell-persönlichen, im Beziehungsbereich, dem Führungsbereich und dem formal-technischen Bereich wirken. Im individuell-persönlichen Bereich liegen Aufgaben, die mit körperlichen oder psychischen Erkrankungen der Mitarbeiter:innen in Verbindung stehen. Darüber hinaus werden Mitarbeiter:innen unterstützt, die Suchtproblematiken aufweisen, Krisen, Ehe- und Partnerschaftsprobleme haben oder in materielle Not geraten sind. Im Beziehungsbereich unterstützt die betriebliche Sozialberatung bei Problemen zwischen Vorgesetzten und Mitarbeiter:innen, Jüngeren und Älteren oder bei kulturellen und anderen Friktionen. Im Führungsbereich wiederum werden Interventionen und Regelungen angeboten, die Führungsprobleme überwinden helfen sollen. So können Formen der Teamarbeit oder Managementmethoden Mobbing herbeiführen, das durch Mediationsmaßnahmen unterbunden werden soll (BDA 1997). 

Im formal-technischen Bereich sind Maßnahmen betrieblicher Sozialberatung angesiedelt, die die Ausgestaltung von Arbeitsplätzen für Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen, Maßnahmen der Arbeitsplatzgestaltung bei Über- oder Unterforderung, der Anpassung an neue Technologien oder Interventionen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf umfassen, ermöglichen (DV 1997). Ursachen und Anlässe für Maßnahmen der betrieblichen Sozialberatung können als außerordentlich vielfältig bezeichnet werden (Lau-Villinger 1994). 

Im Rahmen der Fachtagung „Betriebliches Sozialmanagement – Betriebliche Soziale Arbeit“ am RheinMoselCampus der Hochschule Koblenz hatte Prof. Dr. Ute Kahle am 07. September 2023 Gelegenheit, ein innovatives Thema mit Blick auf digitale Plattformen vorzustellen. Mit ihrem Vortrag „Plattformökonomie und Betriebliche Sozialarbeit – Herausforderungen und neue Aufgaben unter den Bedingungen der Digitalisierung“ machte Prof. Dr. Kahle auf aktuelle und künftige Phänomene, die im Zusammenhang mit der Plattformökonomie stehen, aufmerksam.

Durch die Plattformökonomie werden zweiseitige Märkte, auf denen sich Angebot und Nachfrage beziehungsweise Auftraggeber und Auftragnehmer gegenüberstehen, durch eine dreiseitige Plattformstruktur abgelöst. In der Folge lässt sich eine Veränderung auf den Arbeitsmärkten beobachten, die mit erheblichen Auswirkungen auf Arbeitsverhältnisse und Arbeitsorganisation einhergehen: das Phänomen des Crowdworking. Crowdwork steht für plattformvermittelte bezahlte Dienstleistungsarbeit. Durch die Digitalisierung entstehen neue Formen der Arbeitsorganisation und Beschäftigung, eine neue Arbeitsteilung zwischen Unternehmen sowie zwischen Unternehmen und Plattformbetreibern. Die sich herausbildende Plattformökonomie ist dadurch gekennzeichnet, dass sie sich etablierten Regelungen von Arbeitsverhältnissen und der sozialen Absicherung entzieht. Die Crowdworker als Auftragnehmer arbeiten als Solo-Selbstständige, Freiberufler oder Nebenerwerbstätige auf Werkvertrags- und Honorarbasis. Deren Arbeit findet nicht nur online in der Cloud statt (Cloudworking), sondern kann auch Dienstleistungen vor Ort umfassen (Gigworking). Die plattformbasierte Arbeit ist gesetzlich kaum geregelt und sozial abgesichert, nicht tariflich reguliert und nicht mitbestimmt. Vorschläge zum Umgang mit den Phänomenen und die Forderung nach gesetzlichen Eingriffen kommen von verschiedenen Akteuren, wie z. B. den Gewerkschaften, Arbeitgebern und der Politik (Weißbuch-Prozess „Digitale Plattformen“ des BMWi; Weißbuch-Prozess „Arbeiten 4.0“ des BMAS). Vor dem Hintergrund der Transformationsprozesse im Zusammenhang mit Crowdworking wurden mit den Tagungsteilnehmer:innen empirische Befunde sowie Ideen und Ansätze für die Neuverortung der digitalen betrieblichen Sozialarbeit diskutiert. 

Prof. Dr. Ute Kahle

Professorin für Soziale Arbeit | Studiengangsleiterin Soziale Arbeit

Prof. Dr. Katrin Schneiders, Prof. Dr. Ludgar Kolhoff, Prof. Dr. Ute Kahle, Prof. Dr. Andrea Dreas, Prof. Dr. Cornelia Enger, Prof. Dr. Edgar Baumgartner und die Organisator:innen der Fachtagung)